Farbunabhängiges Webdesign aus Sicht eines Farbenblinden
Mein ehrlicher Erfahrungsbericht über die versteckten Barrieren farbabhängiger Designs, persönliche Erlebnisse mit Rot-Grün-Schwäche und praktische Lösungen für inklusives Design.

von Denis Paris
Veröffentlicht am 30. Okt. 2024

Im Oktober 2024 hatte ich die Gelegenheit, auf der Smashing Conf Jam in Antwerpen über ein Thema zu sprechen, das mir schon lange am Herzen liegt. Es geht um die unsichtbaren Mauern, die wir als Designer errichten, wenn wir zu sehr auf Farbe als alleiniges Kommunikationsmittel vertrauen. Der Talk trug den Titel “Beyond the Rainbow: Inclusive Information Design”. Das war kein zufälliger Name.
Die unsichtbare Ausgrenzung
Wir leben in einer Welt, in der Design bunt sein muss. Dashboards zeigen Daten in grün und rot. Fehlermeldungen schreien in Rot. Erfolge feiern wir in Grün. Call to Action Buttons, Statusanzeigen, alles ist farbcodiert. Und genau hier beginnt das Problem.
Etwa 300 Millionen Menschen weltweit haben eine Farbfehlsichtigkeit, eine sogenannte Color Vision Deficiency (CVD). Das sind ungefähr 8 Prozent aller Männer und 0,5 Prozent aller Frauen. Für diese Menschen sieht die Welt anders aus. Nicht schlechter. Nicht weniger lebenswert. Nur anders. Und wenn Designer ihre Informationen nur mit Farbe vermitteln, dann sperren sie diese Menschen aus. Ich wollte in diesem Talk die verborgenen Barrieren sichtbar machen. Die Momente, in denen wir uns als Designer auf die Kraft der Farbe verlassen haben, ohne zu bedenken, dass Farbe für viele Menschen keine verlässliche Informationsquelle ist.
Die persönlichen Geschichten dahinter
Der Talk war nicht nur eine Ansammlung von Best Practices. Er war persönlich. Sehr persönlich. Denn ich selbst bin rot-grün-farbenblind. Das ist nicht einfach ein theoretisches Thema für mich ist es meine tägliche Realität.
Ich habe konkrete Beispiele aus meinem eigenen Leben geteilt. Dashboards, die ich nicht lesen kann. Fehlermeldungen, die für mich unsichtbar sind. Design-Systeme, die scheinbar funktionieren, aber für mich zu echten Barrieren werden. Ich habe Screenshots gezeigt mir simulierter rot-grün Schwäche, und für viele im Publikum kaum unterscheidbar. Das ist mein Leben.
Aber der Talk war auch ein Apell für Veränderung. Denn wenn Designer verstehen, dass ihre Arbeit direkt Menschen wie mich ausschließt, verstehen sie auch, warum Inklusion nicht optional ist. Ich habe gezeigt, wie kleine Designentscheidungen mich blockieren, und wie einfache Änderungen mir und Millionen anderen Barrieren abbauen würden.
Die Wahrheit ist: Wenn dein Design nur in Graustufen funktioniert, funktioniert es für fast jeden. Das ist ein einfacher Test. Brutal ehrlich. Und er zeigt sofort, wo die Schwachstellen liegen.
Die Lösung: Formen, Muster, Symbole
Der Talk war nicht ausschließlich eine Auflsitung von Problemen. Es ging um Lösungen.
Konkrete, umsetzbare Strategien, wie wir Informationen so gestalten können, dass sie über die Farbe hinausgehen.
Formen. Nutze unterschiedliche Formen, um Informationen zu vermitteln. Ein grüner Kreis für “Erfolg” und ein rotes Quadrat für “Fehler” ist besser als zwei unterschiedliche Farben derselben Form. Die Form trägt die Information. Die Farbe unterstützt nur.
Muster auf farbigen Labels legen. Plötzlich waren die Labels nicht mehr nur durch Farbe unterscheidbar, sondern durch Textur. Das ist elegant. Das ist inklusiv.
Symbole und Icons. Statt nur eine rote Fehlermeldung anzuzeigen, zeig ein Icon. Ein Warnsymbol. Ein Ausrufezeichen. Etwas, das unabhängig von der Farbe kommuniziert.
Text und Labels. Klingt banal, ist aber oft vergessen. Wenn du eine Grafik hast, label sie. Direkt. Nicht nur in einer Legende, die weit entfernt ist. Direkte Labels sind für alle besser, nicht nur für Menschen mit Farbfehlsichtigkeit.

Die tiefere Erkenntnis
Der Talk handelte von mehr als nur Farbfehlsichtigkeit. Es ging um eine grundsätzliche Haltung im Design. Inclusive Design bedeutet, dass wir von Anfang an für Vielfalt gestalten. Es bedeutet, dass wir nicht nachträglich “Accessibility Features” einbauen, sondern dass wir Inklusion als Grundprinzip verstehen.
Ich habe im Talk betont, dass inklusive Gestaltung nicht bedeutet, auf Farbe zu verzichten. Farbe ist schön. Farbe ist wichtig. Farbe vermittelt Emotionen und Bedeutungen. Aber Farbe darf nicht das einzige Mittel sein, um Information zu transportieren. Das ist der Kern von WCAG Success Criterion 1.4.1: “Use of Color”. Information muss auf mehrere Arten verfügbar sein.
Die Praxis: Wie wir testen
Ein zentraler Teil des Talks war das “Wie”. Wie testet man für Farbfehlsichtigkeit? Wie stellt man sicher, dass das eigene Design wirklich inklusiv ist?
Es gibt Tools. Sim Daltonism zum Beispiel, eine App, die simuliert, wie Menschen mit verschiedenen Formen von Farbfehlsichtigkeit dein Design sehen. Es gibt Colorblind Simulatoren online. Es gibt Plugins für Sketch, Figma und Adobe XD, die Farbkontraste checken.
Aber das Wichtigste ist der Perspektivwechsel. Es geht nicht darum, ein Tool zu benutzen und einen Haken zu setzen. Es geht darum, zu verstehen. Zu fühlen. Zu realisieren, dass dein Design für Millionen von Menschen nicht funktioniert, wenn du nur auf Farbe setzt.
Vom persönlichen Schmerz zur professionellen Beratung
Meine Erfahrungen mit Farbenblindheit haben mir gezeigt, wie wichtig barrierefreies Design wirklich ist. Was für andere Designer theoretisches Wissen ist, ist für mich gelebte Realität. Jeden Tag erlebe ich, wie Design mich einschließt oder ausschließt.
Gerade weil ich persönlich die Auswirkungen schlecht gestalteter Dashboards, fehlender WCAG-Konformität und farbabhängiger Interfaces spüre, kann ich Beratung und Design Audits anbieten, die echte Barrieren erkennen – nicht nur theoretisch, sondern aus gelebter Erfahrung.
Heute biete ich als Teil meiner Dienstleistung farbunabhängige UX-Beratung und barrierefreies Design an, damit Unternehmen und Entwickler nicht dieselben Fehler machen müssen wie viele vor ihnen. Die Kosten für ein Design Audit mit WCAG-Farbkontrast-Prüfung sind transparent und fair kalkuliert – und immer günstiger als spätere Nachbesserungen oder der Ausschluss von Millionen potenzieller Nutzer:innen.
Die Verbindung zur größeren Mission
Dieser Talk war Teil meiner größeren Mission. Ich arbeite seit Jahren daran, das Web zugänglicher zu machen. Ich spreche auf Konferenzen, ich berate Teams, ich teste Websites. Und immer wieder stoße ich auf dasselbe Problem: Wir denken, wir machen es richtig. Wir meinen es gut. Aber wir vergessen, dass unsere eigene Perspektive begrenzt ist.
Die Smashing Conf in Antwerpen war der perfekte Ort für diesen Talk. Eine Konferenz, die sich Inklusion und Barrierefreiheit auf die Fahnen geschrieben hat. Eine Community, die bereit ist, zuzuhören und zu lernen. Das ist genau die Energie, die wir brauchen, um wirklich etwas zu verändern.
Die Takeaways
Am Ende des Talks wollte ich, dass die Teilnehmer mit konkreten Strategien nach Hause gehen. Mit dem Wissen, dass inklusive Gestaltung nicht kompliziert sein muss. Es braucht nur Bewusstsein. Es braucht nur den Willen, über den Tellerrand zu schauen.
teste deine Designs in Graustufen. Immer.
kombiniere Farbe mit anderen visuellen Hinweisen. Formen, Muster, Icons, Text.
nutze ausreichenden Farbkontrast. Die WCAG geben dir klare Richtlinien: mindestens 4,5:1 für normalen Text.
frage echte Nutzer. Menschen mit Farbfehlsichtigkeit. Menschen mit anderen Behinderungen. Niemand kann dir besser sagen, was funktioniert und was nicht, als die Menschen, die davon betroffen sind.
Barrierefreies Design: Meine Dienstleistungen
Als farbenblinder Designer und Entwickler biete ich:
- WCAG-Farbkontrast Audits: Prüfung deiner Website oder App auf Farbkontrast-Compliance
- Farbunabhängige UX-Beratung: Strategien für inklusives Design, das ohne Farbe funktioniert
- Persönliches Feedback: Ich teste dein Design mit meiner eigenen Rot-Grün-Schwäche und zeige dir konkret, wo Barrieren entstehen
- Design System Reviews: Überprüfung eurer Komponenten auf barrierefreie Farbgestaltung
Die Preise sind transparent und orientieren sich am Umfang deines Projekts. Wenn dir ähnliche Herausforderungen bekannt vorkommen und du Unterstützung bei farbunabhängigem Webdesign oder einer WCAG-konformen Überprüfung suchst, freue ich mich auf den Austausch.
Der Abschluss
Dieser Talk war für mich ein sehr persönlicher Moment. Es war das erste Mal, dass ich öffentlich über meine Farbfehlsichtigkeit gesprochen habe. Vorher hatte ich mich damit sehr verletzlich gefühlt, aber die positive Resonanz und die Gespräche nach meinem Talk haben richtig gut getan. Es war befreiend, meine eigenen Erfahrungen, mein Wissen und meine Überzeugungen offen zu teilen. Barrierefreiheit ist kein Nice-to-have. Es ist kein Feature, das man später hinzufügt. Es ist eine Haltung. Eine Überzeugung, dass gutes Design für alle funktioniert.
Beyond the Rainbow bedeutet, über die Oberfläche hinauszuschauen. Es bedeutet, tiefer zu gehen. Es bedeutet, zu verstehen, dass wahre Inklusion mehr erfordert als bunte Dashboards. Sie erfordert Empathie, Verständnis und den Mut, anders zu denken.
Danke an die Smashing Conf für die Gelegenheit. Danke an alle, die zugehört haben. Und danke an alle, die jeden Tag daran arbeiten, das Web ein Stück inklusiver zu machen.
Lass uns gemeinsam daran arbeiten, Barrieren abzubauen. Denn am Ende profitieren wir alle davon.
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