Fallstricken von Automatisierte Barrierefreiheitstests
Ein ehrlicher Erfahrungsbericht über die Grenzen automatisierter Barrierefreiheitstests, Playwright-Audits und warum echte WCAG-Compliance mehr braucht als grüne Tests

von Denis Paris
Veröffentlicht am 09. Juni 2022

Das Problem liegt in der Ebene
In Angular, React oder Vue setzen die meisten Teams auf Komponententests für Barrierefreiheit. Das klingt richtig. Ist es auch irgendwie. Aber nur irgendwie. Denn hier passiert etwas Interessantes, das ich selbst lange nicht richtig verstanden habe: Eine Komponente kann vollkommen barrierefrei sein. Alle ihre Tests sind grün. Und trotzdem funktioniert die gesamte Applikation nicht für Menschen mit Behinderungen.
Das ist keine abstrakte Gefahr. Das ist die Realität in vielen Produkten. Wir bauen isoliert, optimieren isoliert, testen isoliert. Und dann stoßen diese isolierten Komponenten in der echten Applikation aufeinander und erzeugen Probleme, die die Tools nicht sehen.
Der praktische Beispiel im Talk verdeutlicht genau das: Automatisch erkennbare Barrierefreiheitsprobleme, die entstehen, weil die Komponenten zwar korrekt sind, aber zusammen nicht funktionieren.
Die unbequeme Wahrheit
Hier liegt der Kern: Automatische Tests sind wertvoll. Sie sind aber auch heimtückisch. Sie geben uns ein Gefühl der Sicherheit, das nicht vollständig berechtigt ist. Wir können nämlich nicht automatisch alles testen. Es gibt Fallstricke. Viele sogar.
Erstens, die Falsch-Positiv-Falle: Tools zeigen uns Probleme an, die gar keine sind. Oder sie übersehen Probleme, weil sie nur nach bekannten Mustern suchen.
Zweitens, die Integrations-Blindheit: Wir testen Komponenten, nicht Flüsse. Ein Nutzer mit Screenreader läuft aber durch Flüsse, nicht durch isolierte Komponenten. Das ist der fundamentale Unterschied.
Drittens, die Automation-Limitation: Etwa 30 bis 40 Prozent aller Barrierefreiheitsprobleme lassen sich nicht automatisch erkennen. Sie erfordern menschliches Denken, menschliche Erfahrung und menschliches Testen mit echten nutzerinnen und Nutzern.
Was ich heute anders mache: Von Automation zur Beratung
Damals dachte ich, automatisierte Barrierefreiheitstests mit Playwright würden unsere Projekte schneller und günstiger machen. Als Entwickler wollte ich WCAG-Compliance als effiziente Dienstleistung anbieten – ein Skript laufen lassen, grüne Tests bekommen, fertig.
Die Realität war anders. Mehrmals mussten wir externe Accessibility-Beratung hinzuziehen, gerade wenn Playwright-Audits zwar grün waren, aber echte Nutzer:innen mit Screenreadern scheiterten. Die Kosten für diese nachträgliche Korrektur waren ein Augenöffner.
Heute weiß ich: Barrierefreiheit Testing Automation ist wertvoll als Teil einer umfassenden Strategie. Aber echte WCAG-Compliance Dienstleistung braucht mehr als automatisierte Tests – sie braucht Erfahrung, manuelle Prüfung und vor allem: ehrliche Beratung über die Grenzen der Tools.
Die Lösung: Mehrschichtiges Testen
Der Talk führt ein Konzept ein, das mir selbst im Nachhinein offensichtlich schien, das ich aber lange verdrängt habe: Teststufen.
Erstens, Komponententests automatisch auf Barrierefreiheit. Das ist die Basis. Das macht man.
Zweitens, Integrationstests, bei denen Komponenten zusammenspielen. Hier passiert die echte Magie. Oder die echte Katastrophe. Deshalb müssen wir hier testen.
Drittens, manuelle Tests mit echten Menschen mit Behinderungen. Das ist nicht optional. Das ist notwendig.
Diese Mehrschichtigkeit war für mich eine Erkenntnis, die schmerzhaft war, weil sie bedeutet: Barrierefrei-Testen ist aufwendiger, als ich lange gedacht habe.
Warum das Bewusstsein so wichtig ist
Der Talk endet mit einer wichtigen Erkenntnis: Es geht nicht nur um Tools oder Prozesse. Es geht um Bewusstsein. Je früher Teams verstehen, dass Barrierefreiheit nicht optional ist, dass sie nicht am Ende eines Projekts als Feature hinzugefügt wird, sondern von Anfang an Teil der Kultur sein muss, umso besser.
Das bedeutet auch: Die Anzahl der Barrierefreiheitsprobleme niedrig zu halten ist nicht nur nice-to-have. Es ist fundamental. Denn mit jeder Komponente, die wir bauen, wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass etwas schiefgeht.
Ich glaube, dieser Talk war wichtig, weil er einer Illusion den Spiegel vorhielt. Der Illusion, dass Automatisierung uns von der Verantwortung befreit. Das macht sie nicht. Sie macht sie sichtbarer.
Barrierefreiheit Audit: Was wirklich hilft
Viele Agenturen versprechen heute schnelle automatisierte Barrierefreiheitstests. Ich verstehe die Verlockung – ich war dort. Aber nach Jahren in der Praxis rate ich zu einem mehrschichtigen Ansatz:
- Automatisierte Tests mit Playwright & axe-core als erste Ebene
- Manuelle WCAG-Audits für die 60-70% der Probleme, die Tools übersehen
- Tests mit echten Nutzer:innen mit Behinderungen
Die Kosten für ein umfassendes Accessibility Testing mögen höher erscheinen als pure Automation. Aber sie sind immer noch günstiger als spätere Nachbesserungen oder Rechtsstreitigkeiten wegen fehlender Barrierefreiheit.
Ich biete Barrierefreiheit Audits und Beratung für Teams an, die über automatisierte Tests hinausgehen wollen. Als jemand, der selbst alle Fehler gemacht hat, kann ich dir zeigen, wo die Fallstricke liegen. Egal ob bei Playwright-Automation, WCAG-Compliance und echtem Accessibility Testing.
Lass uns gemeinsam daran arbeiten, dass Barrierefreiheit in der Softwareentwicklung nicht nur ein Buzzword bleibt, sondern gelebte Realität wird.
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